Der Blick in die heutige Tageszeitung macht mich nachdenklich. Wieso brauchen wir Menschen immer den Umweg über das Böse, um Gutes tun zu dürfen? Der christliche Brauch, verkleidet um die Häuser zu ziehen, für Notleidende zu sammeln, und dabei selber das eine oder andere Süße zu ergattern, existiert ja schon seit vielen Jahren. Freilich wird es in den letzten Jahren immer schwieriger, Eltern und ältere Jugendliche dafür zu begeistern, die kleinen Könige und Königinnen Anfang Januar als Sternsinger auf ihrem Weg zu begleiten.
In diesem Jahr waren, als Reaktion auf Horrorclowns und Krawalle, unzählige Eltern an Halloween mit ihren Kindern unterwegs von Haus zu Haus. Ich glaube nicht, dass das einzige Argument war, die Kinder aus Sorge nicht allein zu lassen. Ich habe wild geschminkte und kostümierte Mütter gesehen, lachende und Fackeln tragende Väter, Jugendliche, Studenten. Halloween wird immer mehr zum Ereignis, zum Event für alle Generationen. Das Böse, das sich hinter Masken und Fratzen verbirgt, wird konterkariert im Bild der kleinen Hexen, Vampire und Teufelchen.
Natürlich kann man in solchen Kostümen kein Geld für hungernde Kinder in Afrika sammeln. Also muss es etwas handfester sein: Lebensmittel für die Tafel, Schulmaterialien für die nahe gelegene Flüchtlingsunterkunft. Auch als Bösewicht will man schließlich etwas Gutes tun, und damit am kommenden Mittwoch in der Zeitung stehen. Befremdlich für jemanden, der sich in christlichen Bräuchen und Traditionen auskennt. Noch befremdlicher, wenn man dann am selben Tag in den Nachrichten hört, dass an einigen Orten in NRW der Martinsumzug abgesagt wird, weil sich nicht genügend freiwillige Eltern finden, um den Zugweg zu begleiten.
Ich bin weiß Gott kein Traditionalist. Aber ich sehe etwas bei dem Ganzen, das mich traurig macht: Halloween darf und muss sich jeder selbst organisieren. Jede Familie, jeder Freundeskreis entscheidet, ob einfach nur Feiern angesagt ist – oder ob man mit dem Spaß auch noch etwas Gutes verbinden möchte. Beim Sternsingen und beim Martinszug liegt die Sache anders. Und durch die Maschen fallen mal wieder diejenigen Kinder und Jugendlichen, deren Mamas und Papas bei Einbruch der Dunkelheit nicht mehr fahrtüchtig, geschweige denn: begleittauglich sind.
Wir dürfen aufwachen aus diesem ganzen seltsamen Spuk. Wir müssen aufwachen, wenn wir nicht ein Volk von blauäugigen und traditionsvergessenen Dummköpfen werden wollen. Es ist nicht dasselbe, ob Kinder am 31.10. abends um die Häuser ziehen, „Süßes oder Saures“ rufen, bei Nichtbeachtung kleine Schmierereien an den Häusern hinterlassen, und damit die Geister der Dunkelheit symbolisch vertreiben – oder ob die gleichen Kinder am 11.11. mit Laternen singend durch die Straßen ziehen, warmes Licht verbreiten und die Geschichte von einem Mann hören, der vom eigenen Mantel genommen und damit den gewärmt hat, der nicht das Nötige zum Überleben hatte.
Man kann nicht nicht kommunizieren. Und man kann nicht nichts feiern. Wer nicht das Licht feiert, der feiert die Dunkelheit. Und wer böse Geister feiernd vertreibt, der bekundet ihnen damit eine wirksame Existenz in der Welt. Vor dem Hintergrund dieser Schattenkulisse nimmt sich eine Sammelaktion für jeden noch so guten Zweck meiner Ansicht nach als peinlicher Versuch aus. Wer böse sein will, der möge es sein – aber bitte ohne Maske vor dem Gesicht!