Die Kunst, allein zu sein

Wenn ich gefragt würde, woran die Menschen um mich herum am meisten leiden, dann würde ich sagen: An ihrer Unfähigkeit, allein zu sein. Ich habe so viele unglückliche Paare erlebt, die einzig aus Angst vor dem Alleinsein zusammen geblieben sind. Ich habe Männer gesehen, die sich über jedes denkbare Mass der Erschöpfung hinaus in ihrem Beruf verausgabt haben, und Frauen die lebensgefährliche Operationen hinter sich hatten, nur um sich der Anziehung auf das andere Geschlecht zu versichern – und damit einer möglichen Einsamkeit zu entfliehen.

Vielleicht ist bei der Zusammenstellung meines Genpools damals irgendetwas schief gegangen – aber ich kann gerne und gut allein sein. Ich habe im Laufe meines Lebens festgestellt, dass die Zeit, die ich mit mir alleine verbringe, grundsätzlich eine produktive und fruchtbare Zeit ist, wohingegen mir die Zeit mit Anderen häufig zu sehr von nutzlosem Gerede und Geplänkel überschattet wird. Ich bin gerne mit Menschen zusammen; Aber nach einiger Zeit suche ich doch immer wieder die Stille und die Einsamkeit. Wenn ich alleine bin, komme ich viel leichter zu mir selbst.

Ich bin aber auch überzeugt davon, dass meine Begegnungen mit Menschen – von denen ich jeden Tag eine ganze Reihe habe – durch die dazwischen liegenden Zeiten des Alleinseins tiefer und authentischer werden. Ich gehe mit mehr Klarheit und Kraft in den jeweiligen Kontakt, kann mich besser in den Anderen hinein versetzen, und erlebe wie die eine oder andere Begegnung noch Tage später in mir nachklingt. Das wäre undenkbar, wenn ständig jemand um mich her scharwenzeln würde. Die Kunst, allein zu sein, ist zugleich die Kunst, ganz beim Anderen zu sein, losgelöst von seiner oder ihrer konkreten Anwesenheit zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort.