„Kennst du das Land, wo die Zitronen blühen?“ – „Nein, das kenne ich nicht. Aber ich weiß, dass alle Zitronen sauer sind. Dass man eben in den sauren Apfel beißen muss, um etwas im Leben zu erreichen. Dass sauer lustig macht. Sagt man das nicht?“ Auch wenn diese Antwort frei erfunden ist; Vielen meiner Kolleginnen und Kollegen in der Beratungsarbeit dürfte der Tonfall bekannt vorkommen. So hört es sich an, wenn ein Klient oder eine Klientin sich einfach keine Veränderung vorstellen kann oder vorstellen will. Wenn die sauren Zitronen des Alltags überhand genommen haben und die Blüten im Frühling gar nicht mehr wahrgenommen werden.
In solchen Momenten helfen auch keine flotten Sprüche á la „Wenn das Leben dir eine Zitrone gibt, dann mach Limonade draus“. Solche Weisheiten erhöhen im Normalfall nur den Zynismuspegel. Wer zutiefst sauer ist; Wer sich daran gewöhnt hat, zutiefst sauer zu sein, dem schmeckt früher oder später auch nichts Süsses mehr. Jede neue Lebenssituation wird direkt auf ihren potenziellen Säuregehalt abgeklopft, und das Ergebnis triumphierend ausgelöffelt. Hier will mich Einer über’s Ohr hauen. Dort hat mich ein Anderer schon früher betrogen, und wird es mit Sicherheit wieder tun. Es gibt Menschen, die könnte man für ihren vielen schlimmen Lebenserfahrungen bedauern. Wäre da nicht dieses leichte Zucken um die Mundwinkel. Der gleiche Gesichtsausdruck, der sich auch mit Salz und Tequila problemlos vorstellen lässt.
Für mich persönlich war es ein großer Schritt nach vorne, als ich irgendwann aufgehört habe, gegen diese Wand aus sauren Mienen und Gedanken anzukämpfen. Zu verstehen, dass für manche Menschen Lebensqualität bedeutet, sich selber ständig Zitronen in den Tee zu tun, und sich im Nachgang darüber zu beklagen, wie übel das Leben, das Schicksal – und vor allem: die anderen Menschen um sie herum – ihnen mitspielen. Mein Lieblingsgetränk bleibt Cappuccino mit viel Zucchero – aus dem Land, wo im Frühling nicht nur die Zitronen blühen.