„Eigentlich bin ich ganz anders, ich komme nur so selten dazu“. Ironisch, dieser Satz. Und irgendwie auch sehr tiefgründig. Wie wären wir denn, wenn wir öfters mal „dazu kämen“? Wie wären wir, wenn wir nicht eingesperrt wären in das starre Korsett aus Erfahrungen mit uns selbst und mit den Anderen, in die lieb vertrauten Gewohnheiten und Verpflichtungen des Alltags?
Wie sind wir, wenn wir zum Beispiel jemand ganz Neuem und Unbekanntem begegnen? Was erzählen wir, welchen Seite von uns zeigen wir zuerst? Das Experiment lohnt sich. Jede Beratung und jede Therapie beruht letzten Endes auf diesem Prinzip der Fremdheit, die erst nach und nach einer neuen – ganz anderen – Vertrautheit weicht.
Neulich sagte eine Klientin nach der Beratung: „Hier bei ihnen kann ich eine Stunde lang ich selbst sein“ Gemeint ist damit auch: Ganz anders sein. Ohne das, was „draußen“ ist, gleich aufgeben zu müssen, tastet sie sich Stunde für Stunde vorsichtig näher heran an eine Seite ihrer Persönlichkeit, die bisher eher im Dunkel geblieben ist.
Irgendwann wird es darum gehen, das Eine mit dem Anderen zu verbinden. Und zu sagen: „Manchmal bin ich ganz anders, ich traue mich das jetzt immer öfter.“ Schade, klingt nicht mehr ganz so ironisch wie am Anfang. Klingt ganz anders.